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Meine Ausführungen befassen sich mit einem Aspekt der Strafrechtspflege, der seitens der Strafverteidigung seit vielen Jahrzehnten beklagt wird. Sein Gegenstand ist nicht mehr und nicht weniger der einer Machtfrage. Einer Machtfrage allerdings, die vom Gesetz selbst zugunsten der Inhaber staatlicher Macht und damit gegen den rechtsunterworfenen Bürger, der vor den Schranken der Strafjustiz steht, entschieden worden ist.
Tragende Säule der Macht des Tatrichters ist der in § 261 StPO festgeschriebene Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung. Danach entscheidet das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung. Dieses ihm vom Gesetz verliehene Recht gibt dem Tatrichter die Macht, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln über die Ergebnisse der Beweisaufnahme zu entscheiden und festzustellen, ob ein Sachverhalt, bei dem sich der Angeklagte strafbar gemacht hätte, bewiesen ist oder nicht.1
Es liegt nahe, dass eine solche Allmacht kraft Gesetzes geradezu zu einem willkürlichen Gebrauch einlädt. Diese Macht des Tatrichters ist auch der Grund dafür, dass der beste Strafverteidiger ein verurteilungsgeneigtes Gericht trotz Aufbietung seiner ganzen Verteidigungskunst nicht an einem Schuldspruch hindern kann.
Damit soll nicht etwa gesagt sein, dass der Richter in solchen Fällen sehenden Auges einen Unschuldigen bestrafen will. Er ist vielmehr in den meisten Fällen das Opfer psychologischer Mechanismen, die auf der Struktur unseres Strafverfahrens beruhen.
Die Erkenntnisse sind nicht neu: Der Tatrichter entscheidet nach den Vorgaben unserer Strafprozessordnung mit Aktenkenntnis über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Bestätigt er den von der Staatsanwaltschaft angenommenen hinreichenden Tatverdacht, identifiziert er sich unbewusst mit der öffentlichen Klage, macht sich den in ihr erhobenen Vorwurf zu Eigen. Zudem liegt es in der Natur des Menschen, an einer einmal getroffenen Entscheidung mit einem weitaus höheren Grad an Wahrscheinlichkeit festzuhalten, als sein Vor-Urteil zu revidieren. Das führt nahezu zwangsläufig dazu, dass der Tatrichter belastende Beweisergebnisse, also solche, die sein Vor-Urteil bestätigen, überbewertet und dem entgegenstehenden, also entlastenden Beweisergebnissen tendenziell weitaus weniger Gewicht beimisst, als ihnen zukommen müsste.
Aber nicht nur im Bereich der Würdigung der Ergebnisse der Beweisaufnahme wirken sich diese psychologischen Gesetzmäßigkeiten aus, sondern bereits bei der selektiven Wahrnehmung der Angaben des Angeklagten und der Beweispersonen. Der Richter, der den Gerichtssaal mit einem gesetzlich gefütterten Vor-Urteil betritt und der dieses Vor-Urteil vielleicht bei der Aussage des ersten Belastungszeugen bestätigt findet, hört bisweilen dem Angeklagten sowie anderen Zeugen gar nicht mehr richtig zu.2
Praktische Folge ist die vielfach anzutreffende entstellende, abwertende oder selektive Darstellung der Einlassung des Angeklagten in den Urteilsgründen. Auch werden Aussagen von Entlastungszeugen im Urteil oft entgegen ihrem tatsächlichen Inhalt als widersprüchliche, nicht glaubhafte Gefälligkeitsaussagen hingestellt, nachdem zuvor künstlich Widersprüche konstruiert wurden. Anders ergeht es den belastenden Angaben von Zeugen. Diese erhalten die Weihen als „glaubwürdig“ und „konstant“, selbst wenn dieses Attest mit der Verfahrenswirklichkeit nicht das Geringste zu tun hat. Dies erreicht der Tatrichter durch Kunstgriffe, indem er nämlich in den Urteilsgründen Widersprüche und Konstanzmängel dem sog. „Randgeschehen“ zuweist oder schlicht unter den Tisch fallen lässt, also erst gar nicht erwähnt.3
Festzustellen ist indes, dass die freie richterliche Beweiswürdigung nicht mehr ganz so frei ist, wie es der schlichte Gesetzestext suggeriert. Der BGH hat die tatrichterliche Beweiswürdigung seit Jahren in einer Reihe von Entscheidungen geradezu in ein Korsett gezwungen, um die mit ihr verbundene Gefahr willkürlicher Entscheidungen einzudämmen. So hat er den Tatrichter mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, dass die richterliche Überzeugung, also dessen persönliche Gewissheit, objektive Grundlagen voraussetzt, die ihm aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das von ihm festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Wirklichkeit entspricht. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs revisibel. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht.4 Weiter verlangt der Bundesgerichtshof vom Tatrichter, dass dieser die in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise erschöpfend, lückenlos und widerspruchsfrei würdigt, ohne gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze zu verstoßen.5 Darüber hinaus hat der BGH in Fällen von „Aussage gegen Aussage“ selbst eine Reihe von Erfahrungssätzen aufgestellt, die den Charakter von Beweiswürdigungsregeln haben.6 Dennoch ist es für die Verteidigung im Revisionsverfahren so gut wie unmöglich, verlässliche Prognosen darüber anzustellen, ob das Rechtsmittelgericht die Beweiswürdigung des Tatrichters beanstandet oder aber „durchwinkt“.
Ausschlaggebend ist jedoch der Umstand, dass das Revisionsgericht die Beweiswürdigung einzig und allein aufgrund der schriftlichen Urteilsgründe überprüfen kann. Denn mit dem gem. § 273 Abs. 1 StPO vorgesehenen Verlaufsprotokoll ist ausschließlich der Nachweis der Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung zu führen, § 274 Satz 1 StPO. Alle Fehler in der Erfassung und Würdigung der Angaben des Angeklagten sowie von Zeugen und Sachverständigen, die sich nicht aus der Urteilsurkunde selbst ergeben, sind für das Revisionsgericht damit „unsichtbar“.
Die von mir dargestellte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verpufft deshalb, wenn der Tatrichter eine grottenfalsche Beweiswürdigung revisionssicher verpackt. Er muss nur Aussagen bzw. Aussagenteile, die nicht in sein Vor-Urteil passen, ausblenden, also sie in den Urteilsgründen nicht erwähnen oder sie alternativ „aufhübschen“, d.h. sie kosmetisch dergestalt bearbeiten, dass sie den Bestand des Urteils nicht mehr gefährden können. Der Effekt der BGH-Rechtsprechung unter dem Strich: Es schlägt die Stunde der Formulierungskünstler, und zwar – auf neudeutsch – nachhaltig.
Seine Ursache hat dieser Umstand in der gesetzlichen Rollenverteilung zwischen dem Tatrichter und dem Revisionsgericht, die durch die völlig unzureichende Protokollierung der Hauptverhandlung noch potenziert wird: Mit der Revision können gem. § 337 StPO nur Rechtsfehler gerügt werden, also Fehler in der Beweiswürdigung nur, soweit diese rechtsfehlerhaft ist.
Deshalb ist das Revisionsgericht an die tatrichterlichen Feststellungen gebunden.7 Dies findet seinen Ausdruck in dem revisionsrechtlichen „Verbot der Rekonstruktion der Beweisaufnahme“. Dazu der BGH:
„Das Ergebnis der Aussage eines Zeugen oder Sachverständigen, wie überhaupt das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen, ist allein Sache des Tatrichters; der dafür bestimmt Ort ist das Urteil. Was in ihm über das Ergebnis der Verhandlung zur Schuld- und Straffrage festgehalten ist, bindet das Revisionsgericht. Darüber ist kein Gegenbeweis zulässig.“ 8
Der Gegenbeweis gegen die Urteilsfeststellungen zum Inhalt der Einlassung des Angeklagten oder der Bekundungen eines Zeugen oder Sachverständigen lässt sich nur antreten, wenn er ohne eine Rekonstruktion der Beweisaufnahme geführt werden kann. Der Instanzverteidiger hat deshalb dafür zu sorgen, dass der Inhalt der Einlassung oder der Aussage in einer für den Revisionsrechtszug verwertbaren Weise festgeschrieben wird, um dem Angeklagten eine hierauf gestützte Verfahrensrüge zu ermöglichen.
Damit kommen wir zum eigentlichen Thema: Wie kann es der Verteidiger in der Tatsacheninstanz anstellen, dass die Ergebnisse der Hauptverhandlung für das Revisionsgericht gleichsam zementiert werden?
Prüfen wir die Möglichkeiten für die revisionssichere Dokumentation der Einlassung des Angeklagten:
Die Befürworter der ersten Variante stellen sich das Procedere wie folgt vor: Der Angeklagte oder sein Verteidiger verlesen in der Hauptverhandlung eine schriftlich vorbereitete Einlassung. Verliest der Verteidiger die Einlassung, erklärt der Angeklagte daraufhin, dass er diese Erklärung als seine Einlassung verstanden wissen will oder dass er den Verteidiger bevollmächtigt habe, sich wie geschehen für ihn zur Sache einzulassen.9 Im Übrigen verweigere er die Beantwortung weiterer Fragen des Gerichts und der anderen Verfahrensbeteiligten. Die Verteidigung überreicht die schriftlich formulierte Einlassung im Anschluss hieran dem Gerichtsvorsitzenden, damit dieser sie als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll nehme.
Diese Verfahrensweise ist von vornherein nicht geeignet, die Angaben des Angeklagten zur Sache revisionsfest zu dokumentieren. Zwar ist es möglich, dass der Angeklagte sich über den Verteidiger zur Sache einlässt, wenn sichergestellt ist, dass er die Ausführungen seines Verteidigers als seine eigenen gelten lassen will.
Auch kann es dem Angeklagten nicht verwehrt werden, sich bei der Abgabe seiner Einlassung einer Hilfe zu bedienen, indem er eine schriftlich fixierte Verteidigungsrede verliest.10 Entgegen der vom Bundesgerichtshof vertretenen Rechtsauffassung, dass die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung grundsätzlich durch eine mündliche Äußerung zu erfolgen habe,11 folgt aus der Aussagefreiheit des Angeklagten sein Recht, nicht nur über das „Ob“ und „Wann“ seiner Einlassung zu entscheiden, sondern auch über deren Form.12
Kritischer ist es in beweisrechtlicher Hinsicht schon zu sehen, dass der Angeklagte sich weigert, Fragen des Gerichts und der anderen Verfahrensbeteiligten zu beantworten. Bei diesem – zulässigen – Prozessverhalten handelt es sich um ein sog. „Teilschweigen“, welches in der Beweiswürdigung zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden kann.13
Ausschlaggebend ist jedoch: Auch wenn der Angeklagte eine schriftlich fixierte Einlassung selbst verliest oder durch seinen Verteidiger verlesen lässt, handelt es sich bei diesem Text nach der Rechtsprechung des BGH lediglich um eine Einlassungshilfe. Seine Verlesung durch den Angeklagten oder seinen Verteidiger ändert nichts daran, dass sich der Angeklagte mündlich einlässt. Dies eröffnet dem BGH die Möglichkeit, eine Festschreibung der Einlassung des Angeklagten mit Hilfe des Rekonstruktionsverbotes zu verhindern. Zitat:
„Wenn sich der Angekl. bei seiner Einlassung in der Hauptverhandlung der Hilfe seines Verteidigers in der Form bedient, dass der Verteidiger mit seinem Einverständnis oder seiner Billigung für ihn eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgibt und das Schriftstück sodann – unnötigerweise – vom Gericht entgegengenommen und als Anlage zum Protokoll der Hauptverhandlung genommen wird, so ändert dies nichts daran, dass sich der Angekl. damit mündlich geäußert und das Gericht den Inhalt dieser Äußerung in den Urteilsgründen festzustellen hat (…). Der Text der Protokollanlage ist deshalb nicht geeignet darzulegen (oder gar zu beweisen), wie sich der Angekl. in der Hauptverhandlung eingelassen hat …
… Die Behauptung, der Angekl. habe sich anders eingelassen, als dies in den Urteilsgründen dokumentiert ist, könnte nur durch eine Rekonstruktion des Inhalts der Hauptverhandlung bewiesen werden. Eine solche ist dem Revisionsverfahren insoweit fremd. Ein Freibeweis darüber, dass die Einlassung des Angekl. einen anderen Inhalt hatte, als er im Urteil festgestellt wurde, ist nicht zulässig (…).“ 14
Damit ist die erste Variante vom Tisch.
Wir kommen zur 2. Variante: Der in der Hauptverhandlung schweigende Angeklagte oder sein Verteidiger überreichen dem Gericht eine schriftlich formulierte und vom Angeklagten unterzeichnete Einlassung und beantragen unter wörtlicher Mitteilung ihres Inhalts, dass das Gericht diese als Urkunde verlesen möge, und zwar zum Beweis, dass der Angeklagte sich wie in der Urkunde dargelegt zur Sache äußere. Da die Urkunde vom Angeklagten unterzeichnet ist, somit unzweifelhaft von diesem stammt, es sich bei der Verlesung einer Urkunde um einen protokollierungspflichtigen Beweiserhebungsvorgang handelt15 und wegen des – im Protokoll dokumentierten – Schweigens des Angeklagten in der Hauptverhandlung die schriftliche Einlassung ergänzende oder mit ihr in Widerspruch stehende Äußerungen ausgeschlossen werden können, ist damit der Inhalt der Einlassung des Angeklagten für das Revisionsverfahren beweisbar, ohne mit dem Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung zu kollidieren.
Dieses Szenario ist auf dem ersten Blick bestechend. Sein Erfolg hängt allerdings davon ab, dass der Tatrichter dem Antrag auf Verlesung der schriftlichen Einlassung nachkommt. Hierzu ist er jedoch nach der Rechtsprechung des BGH nicht verpflichtet. Zitat:16
„Das Schreiben des Angekl. … enthielt … sowohl seiner Zweckbestimmung als auch seinem Inhalt nach im Kern eine den Vorwurf … bestreitende Einlassung zur Sache, auch wenn der Angekl. wiederholt ausdrücklich erklärt hatte, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen. Ist ein Angekl. aber bereit, Angaben zur Sache zu machen, so ist er gemäß §§ 243 Abs. 4 Satz 2, 136 Abs. 2 StPO zu vernehmen. Die Vernehmung erfolgt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem Zweck der Vorschrift durch eine mündliche Befragung mit mündlichen Antworten (…). Der Angeklagte hat daher keinen Anspruch darauf, dass das Gericht seine schriftliche Einlassung in der Hauptverhandlung verliest (…).
Diese gesetzlich vorgesehene Form der Einlassung des Angekl. kann nicht dadurch umgangen werden, dass dieser seine Stellungnahme zur Anklage in einem Schreiben an das Gericht niederlegt und nach dessen Eingang einen Antrag auf Verlesung des Wortlauts im Urkundenbeweis stellt. Die Beweisbehauptung, der Angekl. habe sich in einem Schriftstück in einer bestimmten Weise zum Tatvorwurf geäußert, betrifft für sich grundsätzlich keine für die Entscheidung über den Schuldspruch und die Rechtsfolgen relevante Beweistatsache, die im formellen Strengbeweis aufzuklären ist (…).
Das vom Angekl. mit seinem Vorgehen ersichtlich verfolgte Interesse, nach einer Verlesung seiner schriftlichen Einlassung durch das Gericht im formellen Strengbeweis (…) im Revisionsverfahren mit der Rüge einer Verletzung des § 261 StPO beanstanden zu können, das Urteil habe sich mit wesentlichem Entlastungsvorbringen nicht ausreichend auseinandergesetzt, rechtfertigt keine andere Beurteilung (…). Zwar handelt es sich bei einer schriftlichen Einlassung um eine grundsätzlich verlesbare Urkunde, weil das Gesetz die Verlesung nicht ausschließt (…). Jedoch kann ein schweigender Angekl. das Gericht nicht zur Verlesung einer schriftlichen Einlassung zwingen und damit im Ergebnis wählen, ob er sich mündlich oder schriftlich zur Sache einlassen will.“
Im Ergebnis stuft damit der BGH den Antrag auf Verlesung einer schriftlichen Einlassung als Urkunde zur Beweisanregung herunter, welche das Gericht allein nach Maßgabe des Amtsermittlungsgrundsatzes zu prüfen hat und nicht förmlich zu bescheiden braucht.
Verliest das Gericht – ohne hierzu gesetzlich verpflichtet zu sein – die schriftliche Einlassung, steht – vorausgesetzt, der Angeklagte schweigt während der gesamten Hauptverhandlung – deren Inhalt für das Revisionsgericht bindend fest.
Ich wage jedoch die Prognose, dass kaum jemals ein Tatrichter zu bewegen sein dürfte, einem derartigen Verlesungsantrag nachzukommen und sich damit selbst seiner Allmacht bei der Feststellung des Inhalts der Einlassung des Angeklagten zu berauben.
Als dritte Variante steht noch der beliebte, nicht tot zu bekommende Antrag zur Auswahl, die Einlassung des Angeklagten gemäß § 273 Abs. 3 StPO wörtlich zu protokollieren. Seine Beliebtheit steht in einem diametralen Gegensatz zu seiner nahezu vollständig fehlenden Erfolgsaussicht. Derartige Anträge werden bereits von unerfahrenen Vorsitzenden serienmäßig mit der Begründung abgebügelt, es komme nicht auf den Wortlaut der Aussage an. Da die Entscheidung über die wörtliche Protokollierung einen weiten Beurteilungsspielraum zulässt und eine auf der Ablehnung der Protokollierung gestützte Verfahrensrüge an dem fehlenden Beruhenszusammenhang scheitern dürfte,17 verpuffen Protokollierungsanträge in der Praxis regelmäßig.
Lässt sich der Tatrichter allerdings zu einer wörtlichen Protokollierung nach § 273 Abs. 3 StPO bewegen, kann der Nachweis der unrichtigen Wiedergabe der Aussage ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme durch das Sitzungsprotokoll geführt werden und eröffnet damit die Möglichkeit der „Inbegriffsrüge“.18
Die vierte Variante: Gem. § 254 StPO dürfen richterliche Protokolle über ein Geständnis des Angeklagten oder bei nicht behebbaren Widersprüchen zu den Angaben des Angeklagten in einer früheren Vernehmung verlesen werden. Es handelt sich hierbei um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift zu § 250 StPO, die voraussetzt, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung schweigt oder bereits abschließend zur Sache vernommen worden ist. Die Verlesung wird oft nicht im Interesse der Verteidigung liegen. Erfolgt sie jedoch, sollte die Verteidigung – soweit es in ihr Verteidigungskonzept passt – beantragen, den Grund für die Verlesung gem. § 255 StPO zu protokollieren. Im Antrag sollte sie die Einlassung des Angeklagten so detailliert wie möglich bezeichnen.
Ordnet der Vorsitzende die Protokollierung des Grundes der Verlesung antragsgemäß an, kann bei einer hiervon abweichenden Darstellung der Aussage des Angeklagten in den Urteilsgründen ohne Verstoß gegen das Rekonstruktionsverbot die Verletzung des § 261 StPO gerügt werden.
Nach allem ist festzuhalten, dass derzeit für den Verteidiger kaum Möglichkeiten bestehen, die Einlassung seines Mandanten für den Revisionsrechtszug zu zementieren.
Untersuchen wir, ob es für die Verteidigung wenigstens die Handhabe gibt, den Inhalt der Bekundung eines Zeugen oder Sachverständigen für das Revisionsverfahren festzuschreiben, ohne dass diese Bemühungen an dem Dogma des Verbots der Rekonstruktion der Beweisaufnahme scheitern.
Da wir die weitgehende Wirkungslosigkeit von Anträgen auf wörtliche Protokollierung bereits festgestellt haben, stehen uns theoretisch vier weitere Varianten zur Verfügung:
Rechtliche Grundlage für die erste Variante ist das Recht des Angeklagten und seines Verteidigers aus § 257 Abs. 1, 2 StPO, sich nach jeder Beweiserhebung zu erklären. Das Erklärungsrecht bietet dem Verteidiger die Möglichkeit, das Gericht in einem relativ frühen Verfahrensstadium auf bestimmte Aspekte der soeben vorgenommenen Beweiserhebung hinzuweisen und so darauf hinzuwirken, dass es diese Umstände, die in der Urteilsberatung bedeutsam sein können, auch tatsächlich zur Kenntnis nimmt und berücksichtigt. Auch bietet es die Chance, mit dem Gericht in einen Dialog über die Einschätzung des Beweisergebnisses zu kommen.19
Es hat seitens der Verteidigung auch den Versuch gegeben, über das Erklärungsrecht das Ergebnis der Vernehmung eines Zeugen „protokollfest“ zu fixieren:
Die Verteidigung gab nach der Vernehmung einer Zeugin eine Erklärung nach § 257 Abs. 2 StPO ab. Diese Erklärung überreichte sie dem Gericht in schriftlicher Form. Das Gericht nahm sie als Anlage zum Protokoll. In der Erklärung ist die Aussage der Zeugin, so wie die Verteidigung diese verstanden hat, ausführlich niedergelegt. Hieran anknüpfend stellte die Verteidigung folgenden Antrag:
„Sollte die vorstehende Wiedergabe der Aussage in einem wesentlichen Punkt unzutreffend sein, bittet die Verteidigung um einen tatsächlichen Hinweis, damit sie bei der Beurteilung des Sachverhalts nicht von einem Irrtum ausgeht.“
Mit der Revision machte sie dann geltend, dass das Gericht einen Hinweis der beantragten Art nicht erteilt habe, das angefochtene Urteil gleichwohl in einzelnen Punkten von der Aussage der Zeugin in der von der Verteidigung schriftlich festgehaltenen Fassung abweiche und in anderen Punkten zu der solcherart fixierten Aussage der Zeugin schweige. Die unter anderem auf die Verletzung des § 261 StPO gestützte Verfahrensrüge hatte keinen Erfolg.
Der BGH:20
„Eine Rüge, § 261 StPO sei verletzt, weil Zeugen in der Hauptverhandlung etwas anderes bekundet hätten als im Urteil festgestellt, ist unzulässig. Der Nachweis dieser Behauptung könnte vom RevGer. nur durch eine ihm grundsätzlich verwehrte Rekonstruktion der Beweisaufnahme des Tatrichters geführt werden (…). Allerdings ist in der Rechtsprechung des BGH anerkannt, dass die Rüge, § 261 StPO sei verletzt, durchgreifen kann, wenn ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme allein aufgrund der Aktenlage der Nachweis geführt werden kann, dass die im Urteil getroffenen Feststellungen nicht durch die in der Hauptverhandlung erhobenen Beweismittel gewonnen werden konnten (…). Der BGH hat dies angenommen, wenn der Wortlaut einer in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunde im Urteil unrichtig wiedergegeben worden ist (…). So liegt der Fall hier aber nicht. Zwar mag aufgrund der zu Protokoll gereichten Erklärung urkundlich belegt sein, dass nach Auffassung der Verteidigung die Zeugin teilweise etwas anderes bekundet hat, als das Gericht im Urteil festgestellt hat. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Zeugin tatsächlich so ausgesagt hat. Der Grundsatz des § 261 StPO verbietet ausnahmslos, Aufzeichnungen, die ein Prozessbeteiligter über die Vernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung abweichend von den tatrichterlichen Feststellungen gemacht hat, zu deren Widerlegung im Revisionsverfahren heranzuziehen (…).“
Und wieder einmal ist es gelungen, die Allmacht des Tatrichters bei der Feststellung des Inbegriffs der Hauptverhandlung mit Hilfe des Verbots der Rekonstruktion der Beweisaufnahme unangetastet zu lassen.
Ebenso wird es dem Verteidiger ergehen, der beantragt, das Protokoll der früheren Aussage eines bereits abschließend vernommenen Zeugen oder eines Mitangeklagten zu verlesen, und in der Begründung zu diesem Beweisantrag dessen Angaben in der Hauptverhandlung aus Sicht der Verteidigung referiert. Auch damit kann – wie im Übrigen generell mit der Begründung von Beweisanträgen – wegen des Rekonstruktionsverbotes die Aussage eines bereits vernommenen Zeugen nicht revisionsfest dokumentiert werden.
Nützlich kann ein solcher Antrag für die Revisionsinstanz dennoch sein. Ein solcher Verlesungsantrag ist zulässig. Soweit die zu verlesende Aussage einen bereits vernommenen Zeugen betrifft, steht der in § 250 StPO festgelegte Grundsatz der Unmittelbarkeit dem nicht entgegen, da dieser nur die Ersetzung des Personal- durch den Urkundenbeweis verbietet. Soweit sich der Antrag auf Verlesung der protokollierten Aussage eines Mitangeklagten richtet, ist er zulässig, da durch die Verlesung nicht Beweis über den Tathergang, sondern über das Aussageverhalten und damit über die Glaubwürdigkeit des Mitangeklagten erhoben werden soll.21
Die Verlesung eröffnet unter Umständen die Inbegriffsrüge. Steht nämlich der Inhalt der protokollierten Aussage in erheblichem Widerspruch zu der in der Hauptverhandlung gemachten und auch so in den Urteilsgründen festgestellten und setzt sich der Tatrichter in dem Urteil nicht mit diesem Widerspruch auseinander, begründet dies ebenfalls die Rüge der Verletzung des § 261 StPO. Hier kann nichts anderes gelten als im Fall einer wörtlich protokollierten Aussage.22
Ein probates Mittel, die Aussage eines Zeugen für den Revisionsrechtszug festzuschreiben, ist – Variante 3 – der Antrag auf Verlesung des Protokolls einer früheren Vernehmung wegen fehlender Erinnerung oder wegen Widersprüchen zwischen der früheren und der in der Hauptverhandlung gemachten Aussage gem. § 253 StPO. Der Antrag ist erst zulässig, wenn der Zeuge vollständig vernommen worden ist.23 Die Verlesung erfordert die Anwesenheit des Zeugen, da es nach der Intention des Gesetzes maßgeblich auf die Reaktion des Zeugen ankommt.24
Festzuhalten ist, dass die Tatgerichte allerdings relativ selten eine Verlesung nach § 253 StPO vornehmen, da es sich hierbei um eine Ausnahmevorschrift handelt, die – auch wegen ihres geringen Beweiswertes – restriktiv anzuwenden und auszulegen ist.25
Vonm unschätzbaremn Wert für die Verteidigung ist die Möglichkeit, gem. § 255 StPO zu beantragen, den Grund für die Verlesung des Vernehmungsprotokolls im Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen und damit den Inhalt der Bekundungen des Zeugen in der Hauptverhandlung für die Revision festzuschreiben. Dies erfordert die detaillierte Wiedergabe der Aussage des Zeugen in dem Protokollierungsantrag.
Wird der Antrag zurückgewiesen, hat die Verteidigung einen Gerichtsbeschluss nach § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen. Die Ablehnung der Protokollierung ist nämlich unzulässig, da es sich nach dem Wortlaut des § 255 StPO um eine zwingende Vorschrift handelt.
Lässt der Vorsitzende den Grund der Verlesung jedoch inhaltlich abweichend vom Antrag der Verteidigung protokollieren, ist dagegen kein Kraut gewachsen. Insoweit kann die Verteidigung nämlich nicht die Unzulässigkeit der Sachleitungsanordnung rügen. Nach dem Gesetz muss nämlich nur der Grund der Verlesung nur „erwähnt“ werden. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass der Antragsteller dem Vorsitzenden vorschreiben kann, mit welchem Inhalt dieser den Grund der Verlesung im Protokoll erwähnen lässt. Versuchen kann es die Verteidigung. Nicht alle Tatrichter sind prozessual sattelfest.
Im Übrigen – und dies ist der entscheidende Schwachpunkt des § 255 StPO – ist seine Verletzung nicht revisibel, da das Urteil auf einem unrichtigen oder unvollständigen Protokoll nicht beruhen kann.
Eine letzte Möglichkeit, den Inhalt der Aussage eines Zeugen für die Revision festzuschreiben, ist das Stellen eines „affirmativen“ Beweisantrages. Dabei benennt die Verteidigung zum Beweis einer erheblichen Tatsache, die nach ihrer Wahrnehmung bereits von einem Zeugen bekundet wurde, einen weiteren Zeugen. Lehnt das Gericht diesen Beweisantrag ab, weil diese Tatsache so behandelt werden kann, als wäre sie wahr oder weil sie bereits erwiesen ist, ist das Gericht gezwungen, diese Beweistatsache seinem Urteil zugrunde zu legen. Eine Abweichung hiervon würde wegen Verletzung des Beweisantragsrechts die Revision begründen. Damit ist die Aussage des Zeugen für den Revisionsrechtszug festgeschrieben.
Die vorhergehenden Ausführungen haben aufgezeigt, dass die Möglichkeiten der Verteidigung, die Aussage des Angeklagten oder eines Zeugen in der Hauptverhandlung für die Revisionsinstanz festzuschreiben, sehr bescheiden sind. Grund hierfür ist die gesetzliche Regelung, die dem Tatrichter in § 261 StPO die Deutungshoheit über die Ergebnisse der Beweisaufnahme einräumt, die Beschränkung des Rechtsmittels der Revision auf die Überprüfung des Urteils auf Rechtsfehler und hieraus resultierend das Dogma des Verbots der Rekonstruktion der tatrichterlichen Beweisaufnahme. Flankiert wird dies alles noch von der Regelung in § 273 Abs. 1 StPO, die in Konsequenz aus der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung und der eingeschränkten Rügemöglichkeit im Revisionsrechtszug vom Tatrichter lediglich die Anfertigung eines Verlaufsprotokolls verlangt.
Abhilfe könnte – zumindest auf dem ersten Blick – der Entwurf des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer zur „Verbesserung der Wahrheitsfindung im Strafverfahren durch verstärkten Einsatz der Bild-Ton-Technik“26 schaffen. Uns interessieren hier nur die Teile des Entwurfs, die sich mit der Dokumentation der Hauptverhandlung und ihren Auswirkungen auf das Revisionsverfahren befassen.
Der Entwurf schlägt vor, in § 273 StPO folgenden Abs. 2 einzufügen:
„Die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht ist unbeschadet des § 271 auf Bild-Tonträger aufzuzeichnen. Die Bild-Ton-Aufzeichnungen sind zu den Akten zu nehmen oder bei der Geschäftsstelle mit den Akten aufzubewahren, § 147 ist entsprechend anzuwenden mit der Maßgabe, dass den zur Akteneinsicht Berechtigten Kopien der Aufzeichnung überlassen werden können. Die Kopien dürfen weder vervielfältigt noch weitergegeben werden.“
Weiter schlägt der Entwurf die Einführung des folgenden § 273a StPO vor:
„Unrichtigkeiten des Protokolls können nach Anhörung der Beteiligten berichtigt werden. Der Nachweis der Unrichtigkeit kann auch durch die Bild-Ton-Aufzeichnung geführt werden. Die Berichtigung ist mit Gründen zu versehen und wird auf dem Protokoll vermerkt. Der Vermerk ist zu unterschreiben; § 271 gilt entsprechend.“
Schließlich soll nach dem Vorschlag des Strafrechtsausschusses dem § 352 Abs. 1 StPO folgender Satz angefügt werden:
„Die Bild-Ton-Aufzeichnung der Hauptverhandlung nach § 273 Abs. 2 kann nur zur Überprüfung von Mängeln des Verfahrens herangezogen werden.“
Nun könnte man bei dem ersten flüchtigen Blick auf die vorgeschlagenen ergänzenden Regelungen meinen, mit der „Überprüfung von Mängeln des Verfahrens“ sei auch ein möglicher Rückgriff auf die Bild-Ton-Aufzeichnung zur Begründung der „Inbegriffsrüge“, also der Rüge der Verletzung des § 261 StPO, gemeint. Dem ist jedoch nicht so, wie sich bereits daraus ergibt, dass die Beschränkung des Protokolls in erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht auf die Dokumentation des Verlaufs der Hauptverhandlung, wie sie § 273 Abs. 1 StPO vorsieht, unangetastet bleiben soll. Dies sehen auch die Entwurfsverfasser in keiner Weise anders. Dort heißt es in der Begründung zu dem eben erwähnten § 352 Abs. 1 StPO:
„Die Ergänzung des § 352 Abs. 1 um einen neuen Satz 2 baut auf der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (…) auf, wonach dem Revisionsgericht eine Rekonstruktion der tatrichterlichen Beweisaufnahme, freilich nur grundsätzlich, verwehrt ist (sog. Rekonstruktionsverbot). Die revisionsgerichtliche Rechtsprechung wird aufgrund der künftigen Erfahrungen mit dem Videoprotokoll Gelegenheit haben zu entscheiden, ob die Rekonstruktion der Beweisaufnahme – in Anlehnung an die bereits jetzt anerkannten Ausnahmen vom Rekonstruktionsverbot – behutsam erweitert werden kann. Dies könnte namentlich in evidenten Fallgestaltungen angezeigt sein, auf die das zutrifft, was der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs (…) ausgeführt hat: ‚Auch die Revisionsgerichte sind der Wahrheit verpflichtet; wenn prozessual erhebliche Tatsachen aus der tatrichterlichen Hauptverhandlung der Klärung bedürfen, muss grundsätzlich der wahre Sachverhalt, wie er sich zugetragen hat, maßgeblich sein.‘“
Der Strafrechtsausschuss will es also dem Bundesgerichtshof überlassen, entgegen der vom Gesetzesentwurf unangetastet gelassenen gesetzlichen Regelungen eine – bislang vom BGH abgelehnte – Rekonstruktion der Beweisaufnahme zuzulassen. Dies erhellt, dass der Gesetzesentwurf für die hier behandelte Problematik völlig ungeeignet ist.
Richtig ist die Einsicht, dass nur ein materiell richtiges ein gerechtes Urteil sein kann. Ziel des Strafverfahrens ist die formelle Feststellung der materiellen Wahrheit.27 Deshalb sollte das Augenmerk darauf gelegt werden, das Gesetz dahin zu ändern, die Allmacht des Tatrichters bei der Feststellung des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu beschneiden, um so willkürliche Tatsachenfeststellungen zu verhindern. Hierzu müsste noch nicht einmal von den gesetzlich aufgestellten Grundsätzen der Revision als Rechtsbeschwerdeverfahren und der Verantwortlichkeit des Tatrichters für die Tatsachenfeststellung abgegangen werden. Ausreichend wäre, den Anwendungsbereich der Inbegriffsrüge zu erweitern.
Der Bundesgerichtshof hat diese Rüge dann zugelassen, wenn sich bereits nach der Aktenlage ergibt, dass der Tatrichter die getroffenen Feststellungen nicht durch die in der Hauptverhandlung erhobenen Beweismittel gewinnen konnte. Also muss die anzustrebende Änderung des Gesetzes zu einer Erweiterung der dem Revisionsgericht zur Nachprüfung des Urteils zugänglichen Aktenlage führen.
Es liegt auf der Hand, dass dies am eEinfachsten und umfassend durch die Einführung des Wortprotokolls der Hauptverhandlung umzusetzen ist. Dann bedarf es keiner aufwändigen Rekonstruktion der Beweisaufnahme im Freibeweisverfahren: Ddie Aussage der Beweispersonen ergibt sich Wort für Wort aus dem Hauptverhandlungsprotokoll selbst. An die Stelle der unzulässigen Rekonstruktion des Inhalts von Aussagen tritt deren verlässliche Dokumentation.
Dank der heute vorhandenen Technik der digitalen Tonaufnahme und der computergestützten Verschriftung durch digitale Spracherkennung ist eine wörtliche Protokollierung der Aussagen des Angeklagten und aller Beweispersonen ohne unvertretbaren Aufwand und vor allem ohne erhöhten Personaleinsatz möglich.
Durch die wörtliche Protokollierung und die hierdurch ermöglichte erweiterte Revision verlöre das Revisionsverfahren auch nicht seinen Charakter als Rechtsbeschwerdeverfahren. Diese erweiterte Revision wäre ja keine weitere Tatsacheninstanz. Sie ermöglichte dem Beschwerdeführer durch die Erweiterung der Rüge- und Beweismöglichkeiten lediglich, auch dort die Inbegriffsrüge zu erheben, wo sie ihm früher aufgrund des Verlaufsprotokolls nicht möglich war. Das Revisionsgericht wäre – eine entsprechende zulässig erhobene Verfahrensrüge vorausgesetzt – nicht mehr nur auf die Urteilsurkunde beschränkt, um zu prüfen, ob die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einer objektiven Tatsachengrundlage beruht.
Ich hatte zu Beginn meiner Ausführungen darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Thema um eine Machtfrage handelt: Will der Rechtsstaat die Deutungshoheit des Tatrichters über die Ergebnisse der Beweisaufnahme auf ein vertretbares Maß beschneiden, indem er eine objektive Kontrolle über den Inhalt der Aussagen zulässt? Oder will er der Strafjustiz insoweit weiterhin eine nahezu uneingeschränkte Machtposition mit der Möglichkeit willkürlichen Judizierens einräumen? Diese Frage hat der Gesetzgeber zu beantworten.